Mondkinds Abenteuer
'Hey Sabi, warte mal einen Moment.' rief mir Gwen querüber den Hof entgegen. Ich parierte Smartie durch, meine Stute blieb brav stehen und wir warteten gemeinsam auf Gwen.
'Was gibt’s denn, du bist ja ganz außer Atem.' grinste ich sie an, mir schwante es aber schon. In einer Woche hatten wir das große Jubiläum auf der Haltergemeinschaft und wie jedes Jahr waren die Wochen davor für Gwen die nervenaufreibendsten. Sie stockte kurz, um zu Atem zu kommen und fragte mich dann auch:
'Sag mal, wie weit bist du denn mit deinen Vorbereitungen. Ich hab heute von den anderen noch niemanden gesehen und da du eh die Organisation für den Part übernimmst...'
Ich grinste wieder, beruhigte sie dann aber: 'Keine Sorge, bisher läuft alles wie geschmiert, nur unsere Pferde haben, glaub ich, langsam keine Lust mehr auf die ganzen Köstume.' Ich tätschelte Smartie den Hals, die zustimmend schnaubte. 'Ich hab dir auch den Text per Mail geschickt. Ich weiß, es ist einiges, aber ich dachte mir, nur eine unserer Mamis kann so eine Geschichte erzählen.'
Gwen verzog etwas das Gesicht: 'Jaaa, ich hab die seitenlange Geschichte erhalten. Zum Glück muss ichs nicht auswendig lernen.' Wir lachten beide und ich erklärte noch schnell, wann die letzten Proben stattfinden sollten, denn wir wollten auch unser Timing mit der Erzählstimme abstimmen und dafür brauchten wir Gwen schließlich. Diese versprach, vorbeizuschauen und verabschiedete sich dann, um in die entgegengesetzte Richtung davon zu hasten. Sie hatte wohl noch mehr zu tun
Ich ritt auf Smartie rüber zum Putzplatz und machte sie fertig, während ich über unser Stück nachdachte. Gwen war auf die Idee gekommen, dass es schön wäre, wenn möglichst viele Mitglieder der Haltergemeinschaft ein gemeinsames Stück aufführen könnten. Da ich momentan noch Zeit hatte und große Lust, mich mal wieder kreativ zu betätigen, hatte ich mich freiwillig gemeldet das ganze zu organisieren. Und dabei absolut nicht bedacht, wie viel Aufwand das doch darstellte. Ich musste mir eine Geschichte ausdenken, dann überlegen, wie ich sie umsetzen wollte, außerdem die Mädels zusammen rufen, um die Rollen zu verteilen, die Proben abstimmen, mich um die Köstume kümmern und so weiter und so weiter. Meine Liste nahm kein Ende und auch wenn ich Gwen etwas anderes gesagt hatte, so war ich doch schon seit zwei Wochen voller Sorge, weil ich Angst davor hatte, dass nicht alles rechtzeitig fertig werden würde.
Zum Glück hatten mir die anderen Mädels kräftig unter die Arme gegriffen, sodass ich besonders die Kostümgestaltung an Flicka abgeben konnte, die ihre eigene kleine Gruppe zusammensuchte und sofort, nachdem ich das Projekt vorgestellt hatte, mit dem nähen anfing.
Beim Gestalten der Hintergrundbilder hatten sich Yassi und Juli angeboten und auch ihnen schlossen sich noch weitere Mitglieder an, sodass auch deren Team gut bestückt war.
Große Probleme bereitete jedoch das gemeinsame Üben, denn wie sollte man den Zeitplan von 15 verschiedenen Mitgliedern so abstimmen, dass jeder bei den Proben dabei war? Das hatte sich als unmöglich herausgestellt und so musste ich damit leben, dass immer ein paar von den Mädels bei der ein oder anderen fehlte. Daher legte ich mehrere Proben die Woche, sodass jeder die Chance hatte, wenigstens eine mitzunehmen und das war uns schließlich auch geglückt. Dennoch gab es die ein oder andere Schwachstelle, die wir im Laufe der Woche noch beheben mussten, vor allem bei den Einzelvorführungen mussten wir noch am Timing arbeiten. Aber dafür brauchten wir die Erzählstimme, die sich nun aber glücklicherweise mit Gwen gefunden hatte. Eigentlich konnte nichts mehr schief gehen – dieses Mantra sagte ich mir Tag für Tag vor in der Hoffnung, irgendwann wirklich daran zu glauben.
Schließlich war es soweit, der große Tag unserer Aufführung war herangerückt und wir machten uns schon früh am morgen bereit. Flicka hatte die Kostüme mit Pferde und Reiternamen ordentlich aufgereiht, sodass sie sich jeder abholen konnte. Wir hatten seitlich des Haupteingangs ein großes Reitzelt aufgebaut, in dem wir trocken blieben, falls es anfangen sollte zu regnen, und wo unsere Kommandohauptzentrale war. Die Lautsprecher hörte man auch noch hier draußen, sodass wir genau den Zeitpunkt abpassen konnten, wenn der oder die Nächsten in die Halle musste. Auch Yassi und Juli und ihre Helfer standen mit den kleinen Bühnenbilder bereit und jeder andere war damit beschäftigt, die Pferde fertig zu machen, die wir später vorstellen wollten. Der überdachte reitplatz diente zum Abreiten und von da aus sollten die Pferde bedeckt mit ihren Regendecken, denn nun fing es tatsächlich an, zu regnen, rüber zum Reitzelt kommen, wo wir sie und ihre Reiter in die entsprechenden Kostüme kleideten.
Ich lief auf dem Zahnfleisch, so aufgeregt war ich und den anderen ging es ganz ähnlich, das konnte ich sehen. Die Zeit rannte vorwärts und so mussten sich unsere Hauptdarsteller auch schon für den ersten Akt bereit machen.
Gwen kam ins Reitzelt und sagte uns Bescheid, dass die letzte Preisverleihung rum sei und alle Zuschauer Platz genommen hätten, sodass wir beginnen könnten. Ich bedankte mich bei ihr und ging rüber zum Reitplatz, um Melli und Elska zu holen. Die beiden sollten unsere Hauptcharaktere spielen und wir kleideten sie entsprechend ein. Melli wurde ein wenig weiß abgepudert, bekam ein weiß-silber glitzerndes Kleid an und auch in die Haare kam Glitzer. Auch Elska wurde mit ungefährlichem Glitzer eingesprüht.
Loona wurde ähnlich eingekleidet wie Melli, bekam aber noch einen gelben, runden Kreis an den Kopf gebunden. Das sah ein wenig lustig aus, aber Loona meinte, das wäre gar kein Problem, sie sei schließlich ein starker Charakter und könne das wegstecken. Wir glaubten ihr und im nächsten Moment hatten wir auch gar keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, denn schon fing Gwen an, unser Projekt anzusagen. Da die Lichter in der halle aus waren, mussten wir uns nun reinschleichen und alles vorbereiten. Melli führte ihre Elska hinein und wartete, während wir einige Planen mit aufgemalten Sternen verteilten. Auf einigen waren Sternbilder zu sehen, andere stellten ein Bett aus Sternen dar. Nun gingen alle außer Loona und Melli mit Elska aus der Halle. Im Rausgehen steckte mir Melli noch schnell das Halfter ihrer Stute zu, denn die beiden hatten eine Freiheitsdressur geübt. Wer wäre besser für diese Rolle geeignet als Melli. Als wir draußen waren, hörte man Gwens Stimme nun die Geschichte vortragen, die ich mir ausgedacht hatte. Und so begann unser Schauspiel:
Melli lief mit Elska an ihrer Seite durch die Halle, mal im Zick-Zack, mal geradeaus, mal im Schritt, Trab und Galopp. Loona zog um sie herum ihre Kreise und Gwen begann zu Lesen:
'Weit oben im Himmelreich lebt das Mondkind auf einem Teppich aus Sternen und wandelt dort Nacht aus Nacht ein mit seinem treuen Begleiter, dem Mondpferd. Sie erleben viele Abenteuer zusammen, doch jeden Abend bringt sie der große Mond zu ihrer Schlafstatt und erzählt ihnen eine Geschichte, damit sie schöne Träume haben.'
Die Abenteuer stellte Melli im ausgelassenen Galopp dar und als es Zeit wurde, sich vom Mond etwas erzählen zu lassen, ließ sie Elska neben sich zum liegen kommen, setzte sich selbst an ihre Seite und erhält den ersten Applaus aus dem Publikum. Loona setzte sich vor sie und schien zu erzählen. Gwen machte eine kleine Pause, in der sich alle drei erhoben. Loona schlüpfte aus der Halle und zurück blieben Elska und Melli, die mit ihrem Getobe weiter machten. Das Pony durfte alle Kunststücke vorführen, die es kennt, Flehmen, Spanischer Schritt, Verbeugen und schließlich spielten die zwei auch noch Ball miteinander. Allmählich wurden sie jedoch ruhiger und Gwens Stimme setzte wieder ein, während Melli und Elska im Schritt nebeneinander ihre Runden zogen.
'Doch an einem Abend kann der große Mond nicht kommen und sie ins Bett bringen, denn es ist Zeit für ihn, sich selbst auszuruhen und sich nicht am Himmel zu zeigen. Ihr Erdenkinder kennt diese Nacht als die Zeit des Neumonds.
Für das Mondpferd waren diese Abende immer besonders langweilig, es brauchte die Geschichten, um sich in ferne Reiche zu träumen und die Abenteuer auch in den Schlaf mitzunehmen. Und so geschah es, dass ihm eines Abends an Neumond wieder so langweilig war, dass es von seinem Sternenbett auf die Erde hinunterschaute
(In diesem Moment tragen Juli und Yassi eine Plane mit dem Abbild der Erde herein und legen sie vor das Bett aus aufgemalten Sternen und Elska, die sich auf Mellis Befehl darauf niederlegt wie ein Hund und scheinbar auf die Welt hinunterschaut. Auch Melli setzt sich daneben)
und sprach:
'Sie mal, Mondkind, da unten, wo es noch hell ist, da haben die Menschen Spaß. Und bestimmt erleben sie Unmengen an Abenteuern. Ich frage mich, ob es einen Weg gibt, dabei mit zu machen.'
Das Mondkind schaut seinen treuen Begleiter ratlos an und meint:'Aber Mondpferd, was redest du denn da? Noch nie sind wir von unseren Sternen weggegangen und das dürfen wir auhc gar nicht. Stell dir nur vor, wie böse der große Mond wird, wenn er das erfährt!'
Doch Mondpferd lässt nicht locker, die Langeweile treibt es zum Grübeln: 'Aber der große Mond ist ja gar nicht da. Und wie sollt er es erfahren? Los, lass uns einen Versuch wagen.'
Nun wird das Mondkind wütend, stampft mit seinem Fuß auf und schimpft mit dem Mondpferd: 'Was erzählst du da nur? Da unten ist es gefährlich für kleine Sternkinder wir uns. Und selbst wenn wir da runter kommen, wie sollen wir dann wieder zurück kehren? Dort gibt es keine Sterne, auf denen wir wandeln können.' Das kleine Mondkind ist außer sich und ihm stehen die Tränen in den Augen, so aufgeregt ist es. Da erkennt das Mondpferd, dass es dieses Abenteuer nur alleine erleben kann. Um seinen kleinen Freund nicht noch mehr aufzuregen, gibt es aber vor, nicht mehr an die vielen Abenteuer auf der Erde zu denken: 'Also gut, du hast Recht. Dann erzähl du mir eine Geschichte, damit ich einschlafen kann.' Und das Mondkind erzählt eine der Geschichten, die sie schon oft vom großen Mond gehört haben, doch bald werden beide müde und legen sich in ihr Bett aus Sternen.
Als das Mondpferd den gleichmässigen Atem des Mondkinds hört, wittert es seine Chance, steht langsam von seinem Sternenbett auf und tritt zu einer der Sternenleitern, die alle Sterne miteinander verbinden.
'Ich werde heute Nacht ein Abenteuer erleben, auch wenn ich es allein tun muss.' Und mit diesen Worten galoppiert das Mondpferd los und folgt den Leitern immer tiefer Richtung Erde.'
Elska kam auf einen Pfiff hin zu uns durch das Tor galoppiert und hielt neben mir an. Das hatten wir sehr lange üben müssen, denn die Stute verließ Melli nur ungern. Die Scheinwerfer gingen kurz aus, ich legte Elska das Halfter an und überreichte sie Loona, die sie schnell wegführte, damit auch ich mich für den nächsten Akt fertig machen konnte.
Derweil ging das Licht wieder an, Melli tat, als würde sie aufwachen. Gwen erzählte weiter:
'Kurz nachdem das Mondpferd davongaloppiert war, spürt das Mondkind, dass es alleine ist und wacht auf. Es schaut sich überrascht um und als es seinen gefährten nicht sieht, ruft es leise in die von Sternen erhellte Dunkelheit hinaus. Das Mondpferd gab natürlich keine Antwort und dem Mondkind schwant übles:
'Mein kleiner Freund wird sich doch nicht alleine auf den Weg gemacht haben?!' Es erhebt sich und sucht die Sterne nach Hufspuren ab. Wie es befürchtet hat, findet es welche auf einer der Sternenleitern, die direkt zur Erde führen. Traurig blickt es sich um, doch es ist ganz alleine und ratlos, was es jetzt tun soll. Den großen Mond fragen ist unmöglich. Aber alleine bleiben auch. So packt das Mondkind all seinen Mut zusammen und folgt den Spuren seines geliebten Freundes, denn neben dem Ärger über seinen Alleingang überschattet die Angst um das Mondpferd sein kleines Mondenherz.'
Melli stapfte tapfer entschlossen den gleichen Weg aus der Halle, den auch Elska kurz vorher genommen hatte und wieder wurde es für einen Moment dunkel.
Diese Episode konnten wir gar nicht wirklich genießen, denn im Reitzelt vor der Halle war nun ein ordentlicher Trubel. Wir hatten es geschafft, alle trocken Pferde rüber zu bringen, doch so langsam wurden sie unruhig und es war auch ziemlich voll. Desiree wartete mit ihrer Razouna, Ay hatte Madinah mitgebracht, Marina wartete mit meiner Dharba und Doro mit meinem Nahabi. Anja stand neben ihrem Shetano und ich hatte Lawani am Zügel neben mir. Unsere Pferde trugen wunderschön gearbeitete arabische Zaumzeuge und auch die Sättel hatten wir etwas aufgehübscht. Wir waren allesamt in bedduinische weiße Gewänder gehüllt, die auch unseren Kopf bedeckten.
Als Melli rausgekommen war, hatten die Helfer sich die Planen geschnappt und rausgeholt. Für unseren Wüstenritt brauchten wir zum Glück keine große Kulisse, wir hatten schon vorher mehr Sand in die Ecken gestreut, damit es wie Dünen aussah.
Gwen setzte wieder mit dem Erzählen ein und Melli lief raus und zurück in die Halle.
'Das Mondkind landet auf einem unwirtlichen Fleckchen Erde, genau da, wo in wenigen Stunden die Nacht hereinbrechen wird. Es schaut sich um, aber wo es auch hinsieht gibt es nur Sand und wieder Sand. Voller Verzweiflung über seine missliche Lage setzt es sich in eine der Dünen und fängt an zu weinen.'
Melli ging an den Rand der Halle, die nun hell erleuchtet war, und setzte sich in eine der Sandhaufen. Gwens Erzählpause war unser Stichwort. Wir hatten bereits aufgesessen und versuchten nun, unsere kleine Araberherde in Bewegung zu setzen. Mit wehenden Gewändern schossen wir in die Halle hinein und ritten im feinsten Renngalopp zu schneller, arabischer Musik einige Runden. Das Hufgetrappel schallte durch die Halle, bis wir unsere Pferde beruhigten und zum Stehen brachten, kurz vor Melli hielten wir an.
Marina, die unseren Anführer spielte, grüßte Melli mit einer kleinen Verbeugung vom Pferd aus und Gwen übernimmt das Sprechen für beide und erzählt weiter:
'Salamaleikum, kleines Kind, warum weinst du, willst du uns das sagen?'
Das Mondkind hat staunend der Reiterschar zugeschaut und ist nun ein wenig eingeschüchtert. Trotzdem fasst es sich ein Herz und erklärt dem Fremden:
'Ich suche meinen treuen Freund, es ist ein Mondpferd und ganz alleine auf der Erde.'
Der arabische Anführer erkennt in dem Mondkind, was es ist und wertschätzt seine Anerkennung für seinen tierischen Begleiter:
'So wie du von deinem Begleiter sprichst, bist du uns in der Seele verwandt. Wir wollen dir helfen und uns mit dir auf die Suche machen.'
Marina reichte Melli ihre Hand und half ihr beim Aufsteigen. Die Herde setzte sich wieder in Bewegung, galoppierte eine Runde und verließ die Halle wieder. Es wurde dunkel und Gwen erzählte weiter:
'Durch Mondkinds Zauber ist es ihm und seinen neuen arabischen Freunden möglich, die ganze Wüste abzusuchen, doch finden sie keine eine Spur des Mondpferdes. Aber der arabische Anführer stellt vielen Menschen Fragen und so erfahren sie, als sie am Rande der Wüste angekommen sind, dass ein Händler das kleine Mondpferd gesehen hat, wie es nach Norden geritten ist. Das Mondkind bedankt sich bei dem arabischen Fürsten und folgt dem Händler, dessen Ziel ihn ebenfalls nach Norden führt.
Das Mondkind gelangt von Stadt zu Stadt immer weiter nach Norden, bis es wieder Pferde findet.'
Hinter den Kulissen waren wir eifrig am Wuseln. Die Araber mussten versorgt werden und die nächsten Pferde und Reiter wurden kostümiert. Diesmal waren es Reena und Loona in alten Barocken Kostümen, die mit ihren Pferden San Diego und Esperanza einreiten sollten. Die Hallenbeleuchtung ging wieder an und Melli stürmte in die Halle, hinter ihr kamen in gediegener Passage Loona und Reena auf ihren Pferde herein.
Melli setzte sich diesmal auf die Bande und schaute den beiden gebannt zu, ebenso wie das Publikum. Eine sanfte Melodie ertönte und San Diego und Esperanza zeigten einen Pas de Deux der S-Dressur, der einem den Mund offen stehen ließ. Es gab einen wilden Applaus, als die wenigen Minuten um waren und die Melodie verklang. Reena und Loona ritten ihre Pferde zu Melli und Gwen begann von neuem zu Sprechen:
(Fortsetzung nächster Thread)